» Deutsch, Kanadisch, Schweizerisch oder was?
Das Wirrwarr um den Weißen Schäferhund «
“Liebes Kind hat viele Namen”, sagt ein schönes Sprichwort. Wenn das stimmt, dann muss der Weiße Schäferhund unglaublich beliebt sein. Denn was den Namensteil angeht, der seinen Ursprung bezeichnet, ist der Weiße Schäferhund mit einigen Bezeichnungen versehen. In Europa wird er seit der Anerkennung durch die FCI “Weißer Schweizer Schäferhund” oder auch “Berger Blanc Suisse” genannt. Ältere Fans dieses Hundes bezeichnen ihn als “Amerikanisch-Kanadischen” oder kurz “AC Weißer Schäferhund”. Und die Amerikaner und Kanadier wiederum nennen ihn “White German Shepherd”, also “Weißer Deutscher Schäferhund”. Aber woher kommt es bloß, dass ein und derselbe Hund so viele Bezeichnungen trägt?
“Hektor” und sein weißer Opa
Wer das erfahren will, muss in den Geschichtsbüchern der Hundezucht blättern. Und wer das tut, der wird entdecken, dass der Weiße Schweizer Schäferhund ursprünglich ein Deutscher Schäferhund war – nur eben mit der Farbe Weiß. Angefangen hatte alles im späten 19. Jahrhundert. Am 1. Januar 1895 kam ein gewisser “Hektor Linksrhein” zur Welt. Er war das Ergebnis der Kreuzung verschiedener deutscher Herdenschutzhundrassen über mehrere Generationen. Und genau diese Kreuzung erhielt 1899 den offiziellen Rassenamen “Deutscher Schäferhund”. Gleichzeitig wurde auch der “Verein für Deutsche Schäferhunde” gegründet und das Zuchtbuch geschaffen. “Hektor Linksrhein” wurde als Erster in dieses Zuchtbuch eingetragen – als “Horand von Grafrath”, der berühmte Stammvater aller Deutschen Schäferhunde. Was weder Horands Herrchen Max von Stephanitz noch sonst irgendein anderes Mitglied des “Vereins für Deutsche Schäferhunde” interessierte: Unter den Vorfahren von “Horand von Grafrath” fand sich in der Großeltern-Generation ein gewisser “Greif”, 1882 geboren – und weiß. Also hatte bereits der allererste Deutsche Schäferhund die Anlage für weißes Fell in seinen Erbinformationen. Und nicht nur er: Von den ungefähr 30 Hunden, die die Basis der ersten Zuchtjahre des “Deutschen Schäferhundes” bildeten, hatten 18 ein weißes Elternteil oder zumindest ein Elternteil, von dem bekannt war, dass es die Farbe Weiß vererbte. Und die Schweiz, die hat mit der ganzen Sache da noch überhaupt nichts zu tun.
“Kein guter Hund kann eine schlechte Farbe haben”
Auch in den folgenden Jahren spielte die Farbe bei der Zucht der “Deutschen Schäferhunde” überhaupt keine Rolle. In Max von Stephanitz’ Buch “Der Deutsche Schäferhund in Wort und Bild” von 1921 findet sich zum Beispiel ein Foto von “Berno von der Seewiese”, einem Nachkommen “Horands von Grafrath”, der 1913 geboren wurde – und weiß war. Berno war der erste Weiße Deutsche Schäferhund, der ins Zuchtbuch eingetragen wurde. Auch Horands Wurfbruder “Luchs” trug das weiße Gen in sich, und die weiße Schäferhündin “Blanka von Riedekenburg”, deren Sohn “Erich von Grafenwerth” in vielen Ahnentafeln von Weißen Schäferhunden auftaucht, hatte eine bunte Mutter. Aber das war den Schäferhundzüchtern damals eben alles noch egal. Einer von Max von Stephanitz’ Leitsätzen war schließlich: “Kein guter Hund kann eine schlechte Farbe haben.” Also hatten die Schäferhund-Rüden damals noch die große Auswahl, und auch die Hundedamen durften jeden Deutschen Schäferhund ranlassen, ungeachtet seiner Farbe.
Erst toleriert, dann niedergemacht
Mit der Zeit wurde das Klima für die Weißen unter den Deutschen Schäferhunden aber rauer. Die Weißen Schäferhunde büßten an Popularität ein, auch Max von Stephanitz, dem die Farbe ursprünglich ja ziemlich egal war, ließ sich wohl von Züchtern beeinflussen, als er zusammen mit Arthur Meyer im Rassestandard die weiße Farbe nur für Langstockhaar-Hunde zuließ: “Weiße Stockhaar-Hunde sehen platt und uninteressant aus.” Und als dann unter den Deutschen Schäferhunden die ersten Erbdefekte auftraten, waren die Schuldigen schnell gefunden: Diese degenerierten Albinos. Das war zwar im Grunde totaler Unsinn, schon allein, weil der Weiße Schäferhund gar kein Albino ist, wie sich an Augen, Nase und Tatzen auch für den blutigsten Laien erkennen lässt. Doch auch Max von Stephanitz wandte sich nun offen gegen die Weißen, wie auch viele Züchter, und auf Ausstellungen wurde die weiße Fellfärbung zu einem Ausschlusskriterium – der Weiße Schäferhund also als geborener Loser. Von da war es dann kein großer Schritt mehr zum Verbot des “Weißen Deutschen Schäferhundes”. Es passt ins Bild, dass der Rauswurf aus dem Rassestandard 1933 geschah. Wie viele Menschen, so war auch der “Weiße Deutsche Schäferhund” von nun an in seiner Heimat erst einmal nicht mehr erwünscht – nur hatte das nicht die gleichen grausamen Konsequenzen jener Zeit.
Nordamerika als kleines gallisches Dorf
Der Weiße Schäferhund verschwand also aus Europa – nur in England gab es noch einige Deutsche Schäferhunde mit weißem Fell. Aber auf der anderen Seite des Großen Teiches interessierten sich die Züchter einen feuchten Kehricht für den Ausschluss der Weißen aus dem Rassestandard. Schäferhund blieb Schäferhund, also wurden auch die Weißen weiter als “Deutscher Schäferhund mit weißer Fellfarbe” registriert. Und so wurde Nordamerika praktisch zu einem kleinen gallischen Dorf, dass sich ungeniert den Anfechtungen von außerhalb widersetzte und den “White German Shepherd” fröhlich weiter auch mit bunten Schäferhunden verpaarte. Zwar fanden sich jenseits des Atlantiks auch bald Züchter, die gezielt weiße Hunde erzeugten (oder besser: erzeugen ließen), doch in deren Ahnentafeln tauchten immer wieder bunte Schäferhunde auf – in der Alten Welt wäre so etwas ein Skandal.
Und da isser wieder
Ungefähr 40 Jahre nach seinem Rauswurf aus dem “Verein für Deutsche Schäferhunde” tauchte der Weiße dann wieder auf seinem Ursprungskontinent auf. Allerdings nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz. “Lobo White Burch” hieß er, der aus den USA ins Land der Eidgenossen kam – weil sein Frauchen Agatha Burch Heimweh hatte. (Ganz nebenbei bemerkt: “Lobo White Burch” ist auch einer der Vorfahren von Wotan, er ist der Großvater mütterlicherseits von “Champion von Kron”, der seinerseits in der Ur-Ur-Großeltern-Generation von Wotans Ahnentafel vermerkt ist.) Agatha Burch verpaarte ihren “Lobo” nun nun mit eine weißen englischen Hündin namens “White Lilac of Blink-Bonny” – und damit gab’s die ersten, wieder auf europäischem Festland gezüchteten Weißen Schäferhunde. Ein anderer Schweizer, Kurt Kron, kaufte sich aus diesem ersten Wurf eine Hündin mit Namens “Shangrila’s Sweetygirl”, verpaarte sie mit einem aus Dänemark importierten Rüden namens “Kokes Malaho”. Und aus deren drittem Wurf schaffte es dann auch endlich wieder ein Hund nach Deutschland: Martin Faustmann war’s, der “Champion von Kron” kaufte (und vom gleichen Eigentümer auch noch die Hündin “Rani von Finn”) und damit seinen “Zwinger von Ronanke” gründete – der Weiße war heimgekehrt.
Von forschen Schweizern und bockigen VDH-Züchtern
Aber “Weißer Deutscher Schäferhund” durften sie ja nun nicht heißen, da die Züchter des Deutschen Schäferhundes sich doch soooo sehr angestrengt hatten, die Farbe Weiß aus ihrem Gedächtnis – und den Erbanlagen ihrer Hunde – zu löschen. Also taufte Faustmann die Heimkehrer nach ihrem “scheinbaren” Ursprungsland “Amerikanisch-Kanadische Weiße Schäferhunde”. Und während sich Deutschland mächtig schwer damit tat, die Weißen wieder willkommen zu heißen, schufen die Schweizer bereits 1991 in ihrer neu gegründeten Gesellschaft für Weisse Schäferhunde Schweiz” einen vorläufigen Rassestandard. Außerdem waren die Schweizer richtig fleißig, als es darum ging, den Weißen Schäferhund als eigene Rasse anzuerkennen. Und so kam’s, wie es kommen musste: Als die FCI im Jahre 2003 den “Weißen Schäferhund” vorläufig anerkannte, taufte sie ihn auf den Namen “Weißer Schweizer Schäferhund”. Und nicht nur das: Weil der VDH wegen der Verwandtschaft zum Deutschen Schäferhund dauernd herumnörgelte, hielt die FCI folgendes fest: “In order to avoid any confusion, any reference to the German Shepherd Dog has been deleted in the standard.” (“Um jedwede Verwirrung zu vermeiden, wurde jeder Hinweis auf den Deutschen Schäferhund aus dem Standard gestrichen.”). Weiße Schäferhunde sollten also offiziell nicht mehr vom Deutschen Schäferhund abstammen, der Ursprung der Rasse sollten die USA und Kanada sein. “Lobo White Burch” wurde zum Stammvater der Rasse gekürt, damit die Deutschen Schäferhunde ihren “Horand von Grafrath” alleine behalten konnten. So entstand eine neue Schäferhundrasse, die ursprünglich doch nur eine ganz normale Farbvariante des Deutschen Schäferhundes war.
Eine abenteuerliche, vielleicht auch absurde Geschichte. Und die Erklärung dafür, dass ein liebes Kind so viele Namen hat.
Links zu interessanten “weißen” Seiten:
Der aktuelle Rassestandard der FCI (No.347)
the white shepherd pedigree database